Das Gewicht unserer Hunde ist mehr als nur eine Zahl auf der Waage – es ist ein Spiegel unserer Fürsorge und Verantwortung. Wenn wir in die treuen Augen unserer vierbeinigen Gefährten blicken, möchten wir ihnen nur das Beste geben. Doch genau hier beginnt oft das Dilemma: Forschungen der Ludwig-Maximilians-Universität München zeigen, dass mittlerweile 52 Prozent der Hunde und Katzen in Deutschland übergewichtig sind. Diese erschreckende Zahl offenbart ein fundamentales Problem in der Hundeernährung, das weitreichende Folgen für die Gesundheit und Lebensqualität unserer treuen Begleiter hat.
Die individuellen Bedürfnisse verstehen
Jeder Hund ist ein Individuum mit einzigartigen Anforderungen. Ein Border Collie, der täglich mehrere Stunden beim Agility-Training verbringt, benötigt eine völlig andere Energiezufuhr als ein gemütlicher Basset Hound, dessen liebste Beschäftigung das Dösen auf dem Sofa ist. Dennoch orientieren sich viele Hundehalter ausschließlich an den Herstellerangaben auf der Futterverpackung – ein Ansatz, der zwangsläufig zu Fehlernährung führt.
Die Fütterungsempfehlungen der Hersteller basieren auf Durchschnittswerten und berücksichtigen weder die Kastration, noch den individuellen Stoffwechsel oder spezifische Rassedispositionen. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass der tatsächliche Energiebedarf zwischen Hunden erheblich variieren kann. Eine US-Studie mit fast 14.000 Hunden belegt, dass Übergewicht nicht nur mit der Futtermenge zusammenhängt, sondern auch mit Futtergier, Persönlichkeit, Rasse und dem häuslichen Umfeld. Diese Komplexität erklärt, warum standardisierte Fütterungspläne so häufig versagen.
Der Grundumsatz als Basis
Der Erhaltungsbedarf eines Hundes setzt sich aus dem Grundumsatz und dem Leistungsumsatz zusammen. Der Grundumsatz bezeichnet die Energie, die der Körper in völliger Ruhe benötigt. Eine etablierte Formel zur Berechnung lautet: 70 x Körpergewicht in Kilogramm hoch 0,75. Für einen 20 Kilogramm schweren Hund entspricht dies etwa 662 Kilokalorien pro Tag – jedoch nur im absoluten Ruhezustand.
Der eigentliche Tagesbedarf entsteht durch Multiplikation mit einem aktivitätsspezifischen Faktor. Hier offenbart sich die Komplexität: Während kastrierte, bewegungsarme Hunde lediglich einen niedrigeren Faktor benötigen, kann dieser bei hochaktiven Arbeitshunden deutlich höher liegen. Ein Schlittenhund im Training kann täglich ein Vielfaches der Kalorien eines ruhenden Hundes gleichen Gewichts benötigen.
Besondere Lebensphasen beachten
Trächtige Hündinnen benötigen ab der fünften Trächtigkeitswoche deutlich mehr Energie, während säugende Hündinnen je nach Wurfgröße ein Mehrfaches ihres normalen Bedarfs aufnehmen müssen. Auch das Alter spielt eine entscheidende Rolle: Seniorenhunde haben aufgrund ihres verlangsamten Stoffwechsels einen reduzierten Energiebedarf, benötigen jedoch gleichzeitig hochwertigeres, leichter verdauliches Protein.
Nährstoffqualität entscheidet
Die reine Kalorienzahl ist nur ein Teil der Gleichung. Entscheidend ist die Nährstoffqualität und -verteilung. Ein ausgewogenes Alleinfutter für erwachsene Hunde sollte einen angemessenen Anteil an Rohprotein und Rohfett enthalten. Sportlich aktive Hunde profitieren von einem höheren Proteingehalt, während der Fettanteil bei Arbeitshunden entsprechend angepasst sein sollte.
Fett liefert mehr als doppelt so viel Energie pro Gramm wie Protein oder Kohlenhydrate und ist zudem Träger essentieller Fettsäuren wie Omega-3 und Omega-6, die für Haut, Fell und Entzündungsregulation unverzichtbar sind. Nicht jedes Protein ist gleichwertig. Die biologische Wertigkeit beschreibt, wie effizient der Hundekörper das aufgenommene Protein in körpereigenes Eiweiß umwandeln kann. Tierische Proteinquellen wie Muskelfleisch, Ei oder Fisch weisen eine deutlich höhere Wertigkeit auf als pflanzliche Quellen.
Rasseunterschiede prägen den Bedarf
Die Rassevielfalt beim Hund ist einzigartig im Tierreich. Ein Chihuahua wiegt keine zwei Kilogramm, während ein Irischer Wolfshund 80 Kilogramm erreichen kann. Diese enormen Unterschiede schlagen sich direkt in den Ernährungsanforderungen nieder. Kleine Rassen haben einen proportional höheren Energiebedarf pro Kilogramm Körpergewicht, da ihre relative Körperoberfläche größer ist und sie mehr Wärme verlieren.

Ein Yorkshire Terrier benötigt pro Kilogramm Körpergewicht deutlich mehr Kilokalorien täglich als ein Bernhardiner. Gleichzeitig neigen große Rassen zu Skeletterkrankungen und profitieren von kalzium- und phosphorangepassten Futtersorten, während kleine Rassen häufiger zu Zahnproblemen und Unterzuckerung neigen. Bestimmte Rassen haben zudem genetisch bedingte Stoffwechselbesonderheiten. Labrador Retriever beispielsweise gelten als besonders anfällig für Übergewicht, was teilweise auf genetische Faktoren zurückgeführt wird.
Von der Theorie zur Praxis
Die Bestimmung des individuellen Bedarfs beginnt mit einer ehrlichen Einschätzung des Aktivitätslevels. Viele Hundehalter überschätzen die Bewegung ihres Tieres dramatisch. Drei kurze Gassirunden machen keinen aktiven Hund – sie entsprechen lediglich dem Basisniveau. Echter Aktivitätsumsatz entsteht durch mindestens eine Stunde zügiges Gehen, Laufen neben dem Fahrrad, Apportieren oder Hundesport.
Ein bewährtes Vorgehen ist die Body Condition Score Bewertung, bei der der Körperzustand des Hundes auf einer Skala von 1 bis 9 eingeordnet wird. Bei idealgewichtigen Hunden sind die Rippen leicht zu ertasten, ohne stark sichtbar zu sein, die Taille ist von oben deutlich erkennbar, und der Bauch ist aufgezogen. Liegt der Score höher, sollte die Futtermenge reduziert und die Bewegung gesteigert werden.
Fütterungsstrategien im Alltag
Hochaktive Hunde profitieren von mehreren kleineren Mahlzeiten über den Tag verteilt, um Energietiefs zu vermeiden. Bei Arbeitshunden empfiehlt sich eine leichte Mahlzeit vor der Aktivität und die Hauptration danach, um das Risiko einer Magendrehung zu minimieren. Bewegungsarme Hunde hingegen kommen mit ein bis zwei Mahlzeiten aus, wobei die Portionierung in zwei Gaben den Stoffwechsel aktiver hält.
Die Integration von Beschäftigungsfütterung durch Futterbälle, Schnüffelmatten oder Spielzeuge verlängert die Fresszeit und erhöht den Kalorienverbrauch. Diese mentale und physische Stimulation kann den Tagesumsatz erhöhen – eine nicht zu unterschätzende Komponente bei übergewichtigen Hunden.
Warnsignale rechtzeitig erkennen
Unser Hund kann nicht mit Worten kommunizieren, aber sein Körper sendet deutliche Signale. Stumpfes, glanzloses Fell, übermäßiger Haarausfall, Hautprobleme oder häufiger Juckreiz deuten auf Nährstoffmängel oder Unverträglichkeiten hin. Energielosigkeit trotz ausreichend Schlaf kann ein Zeichen für Unterernährung oder falsche Nährstoffzusammensetzung sein.
Verdauungsprobleme wie chronischer Durchfall, Verstopfung oder übermäßige Gasbildung signalisieren oft eine ungeeignete Futterzusammensetzung. Auch Verhaltensänderungen wie Nervosität, Hyperaktivität oder ständiges Betteln können ernährungsbedingt sein. Ein interessanter Befund der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest zeigt, dass übergewichtige Hunde und übergewichtige Menschen ähnliches Verhalten zeigen: Beide bevorzugen energiereiche Nahrung und versuchen, ihre Nahrungsaufnahme zu maximieren.
Die regelmäßige Gewichtskontrolle sollte zur Routine werden. Überflüssige Pfunde können die Lebenserwartung von Haustieren um bis zu zwei Jahre reduzieren und erhöhen das Risiko für zahlreiche Erkrankungen. Zu den häufigsten Begleiterscheinungen von Übergewicht gehören:
- Arthritis und Gelenkprobleme durch erhöhte Belastung
- Diabetes und Stoffwechselstörungen
- Herzerkrankungen und Bluthochdruck
- Atembeschwerden und reduzierte Ausdauer
- Lebererkrankungen und Allergien
- Erhöhte Tumorhäufigkeit
Bei einem 20-Kilogramm-Hund entsprechen bereits zwei Kilogramm Übergewicht einer kritischen Schwelle. Die Verantwortung für die Gesundheit unserer Hunde liegt in unseren Händen. Jede Mahlzeit ist eine Entscheidung – für Vitalität oder Trägheit, für Gesundheit oder Krankheit, für ein langes, erfülltes Leben oder für vermeidbare Einschränkungen. Unsere Hunde schenken uns bedingungslose Liebe und Treue. Es ist an uns, diese Liebe durch durchdachte, individuell angepasste Ernährung zu erwidern und ihnen das Leben zu ermöglichen, das sie verdienen.
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