Du hast gerade eine Gehaltserhöhung bekommen. Dein Projekt wurde zum Erfolg. Oder dein Chef hat dich vor dem ganzen Team gelobt. Aber anstatt dich zu freuen, denkst du nur: „Die haben alle keine Ahnung. Ich hatte einfach nur Glück. Irgendwann merken sie, dass ich eigentlich keine Ahnung habe, was ich hier mache.“ Falls dir das bekannt vorkommt, herzlich willkommen im Club der heimlichen Selbstzweifler. Du bist bei weitem nicht allein mit diesem Gefühl – tatsächlich erleben etwa sieben von zehn Menschen mindestens einmal im Leben genau diese Momente chronischer Selbstzweifel. Psychologen haben dafür einen Namen: das Impostor-Syndrom.
Das wirklich Absurde an der Sache? Oft sind es gerade die kompetentesten und erfolgreichsten Menschen, die sich wie komplette Betrüger fühlen. Während du nachts wach liegst und grübelst, ob jemand deine vermeintliche Unfähigkeit entdeckt, lieferst du tagsüber überdurchschnittliche Leistungen ab. Dein Gehirn spielt dir einen üblen Streich, und das Verrückte ist: Je besser du bist, desto wahrscheinlicher fällst du auf diesen Trick herein.
Was zum Teufel ist dieses Impostor-Syndrom eigentlich?
Fangen wir mit der guten Nachricht an: Das Impostor-Syndrom ist keine psychische Störung. Es steht nicht im offiziellen Diagnosehandbuch, und du musst nicht in Panik verfallen. Es ist vielmehr ein psychologisches Muster, eine Art verdrehte Denkweise, die sich in deinem Kopf festgesetzt hat und einfach nicht mehr loslässt.
Menschen mit diesem Syndrom erleben chronische Selbstzweifel, selbst wenn objektive Beweise für ihre Kompetenz vorliegen. Du kannst eine beeindruckende Sammlung von Diplomen haben, erfolgreiche Projekte vorweisen und trotzdem das Gefühl haben, dass du jeden Moment als Betrüger entlarvt wirst. Es ist, als würdest du bei einem Spiel mitspielen, dessen Regeln du nie wirklich verstanden hast, und jeden Moment könnte jemand mit dem Finger auf dich zeigen und rufen: „Der gehört hier gar nicht hin!“
Die Forschung zeigt, dass die Häufigkeit dieses Phänomens je nach Kontext stark schwankt – zwischen neun und 82 Prozent der Menschen sind betroffen. Diese enorme Bandbreite bedeutet: In bestimmten Berufsfeldern und Situationen gehört das Hochstapler-Gefühl praktisch zur Normalität. Du bist definitiv nicht verrückt, und du bist erst recht nicht allein.
Die verdrehte Logik hinter dem Hochstapler-Gefühl
Hier wird es psychologisch richtig interessant. Das Impostor-Syndrom basiert auf einer klassischen kognitiven Verzerrung – dein Gehirn spielt dir systematisch einen Streich. Konkret funktioniert das so: Wenn du Erfolg hast, schreibst du ihn externen Faktoren zu. „Das war reines Glück“, „Das Timing war perfekt“ oder der Klassiker: „Jeder hätte das geschafft.“ Aber wenn etwas schiefgeht? Dann bist definitiv du schuld, weil du einfach nicht gut genug bist.
Psychologen nennen das einen Attributionsfehler. Dein Gehirn sammelt akribisch alle Beweise dafür, dass du ein Hochstapler bist, während es gleichzeitig alle Gegenbeweise ignoriert oder umdeutet. Es ist wie ein übereifiger Detektiv, der verzweifelt versucht, seine Theorie zu beweisen, selbst wenn alle Fakten dagegen sprechen.
Das führt zu einem Teufelskreis: Du fühlst dich unsicher, also arbeitest du härter und perfektionistischer, um ja nicht aufzufliegen. Du wirst tatsächlich erfolgreicher – aber anstatt das als Beweis für deine Kompetenz zu sehen, denkst du: „Puh, nochmal Glück gehabt. Aber beim nächsten Mal fliege ich bestimmt auf.“ Und so dreht sich das Karussell immer weiter, während du dich dabei emotional völlig erschöpfst.
Das Paradoxon: Gerade die Besten sind betroffen
Wenn du jetzt denkst, dass vor allem unsichere oder unerfahrene Menschen vom Impostor-Syndrom betroffen sind, liegst du komplett daneben. Das Gegenteil ist der Fall: Gerade leistungsstarke, erfolgreiche Menschen leiden häufig unter diesem Phänomen. Das ist das Paradoxon schlechthin – je kompetenter du bist, desto wahrscheinlicher fühlst du dich wie ein Betrüger.
Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2025 hat Menschen in der PR- und Kommunikationsbranche untersucht und dabei bemerkenswerte Ergebnisse geliefert: 60 Prozent der Befragten erleben monatlich oder häufiger Symptome des Impostor-Syndroms. Noch krasser: 14 Prozent fühlen sich täglich wie Hochstapler. Und 58 Prozent gaben an, dass dieses Gefühl einen starken negativen Einfluss auf ihr psychisches Wohlbefinden hat.
Warum gerade in solchen Branchen? Kreative und kommunikative Berufe sind oft subjektiv bewertbar – es gibt nicht die eine richtige Antwort oder Lösung. Das schafft Unsicherheit. Dazu kommt der ständige Vergleich mit anderen, Social Media als Bühne für die Greatest Hits aller Kollegen, und eine Kultur, die oft Perfektionismus belohnt. Der perfekte Nährboden für Selbstzweifel.
Frauen in Führungspositionen trifft es besonders hart
Die Forschung zeigt ein interessantes Muster: Etwa 75 Prozent der weiblichen Führungskräfte berichten vom Impostor-Syndrom. Das liegt wahrscheinlich nicht daran, dass Frauen grundsätzlich unsicherer wären, sondern an strukturellen Faktoren. Wenn du in einem Umfeld arbeitest, in dem Menschen wie du historisch unterrepräsentiert waren, ist das Gefühl „hier gehöre ich nicht hin“ nachvollziehbarerweise stärker ausgeprägt.
Auch Menschen mit Minderheitenstatus oder aus niedrigerem sozioökonomischen Hintergrund berichten häufiger von diesem Phänomen. Diskriminierende Erfahrungen verstärken das Gefühl, nicht dazuzugehören – und das hinterlässt tiefe Spuren in der Selbstwahrnehmung. Du kämpfst dann nicht nur gegen deine eigenen Zweifel, sondern auch gegen externe Faktoren, die dir ständig suggerieren, dass du anders bist.
So erkennst du, ob du betroffen bist
Das Impostor-Syndrom zeigt sich in sehr konkreten Verhaltensmustern, die du wahrscheinlich aus deinem Alltag kennst:
- Du schreibst Erfolge systematisch dem Zufall zu – „Ich hatte einfach Glück“ ist deine Standard-Erklärung für gute Leistungen
- Du hast chronische Angst davor, dass jemand merken könnte, dass du nicht wirklich qualifiziert bist
- Du setzt dir unrealistisch hohe Standards und bist nie wirklich zufrieden mit deiner Leistung
- Du arbeitest deutlich mehr als nötig, um bloß keine Fehler zu machen
- Wenn dich jemand lobt, winkst du ab oder relativierst, weil du das Lob für unverdient hältst
Die Überarbeitung ist eine typische Kompensationsstrategie. Du vergleichst dich ständig mit den Besten in deinem Feld und fühlst dich dadurch minderwertig, anstatt deine eigenen Fortschritte zu würdigen. Wenn du dich in mehreren dieser Punkte wiedererkennst, bist du wahrscheinlich vom Impostor-Syndrom betroffen. Aber denk daran: Das bedeutet nicht, dass du unfähig bist – es bedeutet nur, dass deine Selbstwahrnehmung verzerrt ist.
Die versteckten Kosten des ständigen Selbstzweifels
Das Impostor-Syndrom ist nicht nur ein unangenehmes Gefühl, das man mit einem Schulterzucken abtun kann. Es hat reale Konsequenzen für dein Leben und deine Gesundheit. Die emotionale Erschöpfung, die aus dem ständigen inneren Kampf resultiert, kann zu Burnout führen. Du gibst konstant mehr, als nötig wäre, während du innerlich denkst, dass deine Anstrengungen kaum ausreichen.
Viele Betroffene vermeiden es, neue Herausforderungen anzunehmen oder sich für Beförderungen zu bewerben. Sie lehnen Chancen ab, nicht weil sie nicht qualifiziert wären, sondern weil sie denken, sie seien es nicht. Das ist besonders tragisch, wenn man bedenkt, dass oft gerade die kompetentesten Menschen sich selbst zurückhalten, während selbstbewusste, aber möglicherweise weniger qualifizierte Menschen nach vorne preschen.
Die psychische Belastung kann zu Angstzuständen und depressiven Verstimmungen führen. Wenn du täglich mit dem Gefühl lebst, nicht gut genug zu sein und jeden Moment entlarvt werden zu können, nagt das massiv an deinem Selbstwertgefühl und deiner Lebensqualität. Und das Heimtückische: Weil du denkst, du seist der einzige Betrüger im Raum, sprichst du oft nicht darüber – was das Problem nur verschlimmert.
Die gute Nachricht: Es ist nicht für immer
Hier kommt die wirklich gute Nachricht: In etwa 80 Prozent der Fälle ist das Impostor-Syndrom temporär. Das Gefühl kommt und geht. Selbst wenn es hartnäckiger ist, gibt es wissenschaftlich fundierte Strategien, um damit umzugehen. Du bist diesem Muster nicht hilflos ausgeliefert.
Die kognitive Verhaltenstherapie hat sich als besonders wirksam erwiesen. Der Kern dieser Methode: Du lernst, deine verzerrten Denkmuster zu erkennen und zu hinterfragen. Wenn du zum Beispiel denkst „Das war nur Glück“, übst du, dir die Frage zu stellen: „Welche Fähigkeiten und welche Vorbereitung haben tatsächlich zu diesem Erfolg beigetragen?“ Es geht darum, die automatischen negativen Gedanken durch realistischere Bewertungen zu ersetzen.
Therapeuten empfehlen oft das Führen eines Erfolgstagebuchs. Klingt kitschig, funktioniert aber: Du dokumentierst regelmäßig deine Erfolge, positives Feedback und Situationen, in denen du Kompetenz bewiesen hast. Wenn die Selbstzweifel zuschlagen, hast du schwarz auf weiß Beweise für deine Fähigkeiten – und dein Gehirn kann sie nicht mehr so leicht wegdiskutieren.
Was du konkret tun kannst
Neben professioneller Therapie gibt es auch alltagstaugliche Strategien, die du selbst anwenden kannst. Eine bewährte Methode ist die Arbeit an deinem inneren Dialog. Wenn dein innerer Kritiker anfängt zu nörgeln, stell dir vor, ein guter Freund würde dasselbe zu dir sagen – würdest du das akzeptieren? Meistens merken wir dann, wie unfair und übertrieben unsere Selbstkritik ist. Versuche, mit dir selbst so zu sprechen, wie du mit jemandem sprechen würdest, den du magst und unterstützen möchtest.
Eine weitere hilfreiche Übung: Unterscheide bewusst zwischen „Ich fühle mich inkompetent“ und „Ich bin inkompetent“. Gefühle sind real, aber sie sind nicht immer faktisch zutreffend. Du kannst dich wie ein Hochstapler fühlen und trotzdem kompetent sein – beides kann gleichzeitig wahr sein. Diese Unterscheidung zu treffen hilft, etwas Abstand zu den überwältigenden Gefühlen zu gewinnen.
Setze dir realistische Ziele und Standards. Perfektionismus ist ein enger Verwandter des Impostor-Syndroms, und beide verstärken sich gegenseitig. Übe dich darin, „gut genug“ als ausreichend zu akzeptieren. Das bedeutet nicht, dass du nachlässig werden sollst – aber es bedeutet, anzuerkennen, dass 100 Prozent in jedem Bereich gleichzeitig weder möglich noch nötig sind.
Der Austausch mit anderen ist Gold wert
Experten betonen immer wieder die Bedeutung des Austauschs. Wenn du mit vertrauenswürdigen Kollegen, Freunden oder einem Mentor über deine Gefühle sprichst, stellst du oft fest: Du bist nicht allein. Viele erfolgreiche Menschen haben ähnliche Zweifel – aber niemand spricht darüber, weil jeder denkt, er sei der einzige. Das zu durchbrechen kann unglaublich entlastend sein.
Manche Unternehmen haben inzwischen sogar Gesprächskreise oder Workshops zum Thema Impostor-Syndrom etabliert. Die Erkenntnis, dass die Kollegin, die immer so selbstsicher wirkt, innerlich die gleichen Zweifel hat wie du, kann eine regelrechte Offenbarung sein. Es normalisiert das Gefühl und nimmt ihm seinen Schrecken.
Wann professionelle Hilfe sinnvoll ist
Für viele Menschen sind Selbsthilfestrategien und der Austausch mit anderen ausreichend, um mit dem Impostor-Syndrom umzugehen. Aber es gibt auch Situationen, in denen professionelle Unterstützung sinnvoll oder sogar notwendig ist. Wenn deine Selbstzweifel so stark sind, dass sie dein tägliches Leben beeinträchtigen, wenn du aus Angst wichtige Chancen ausschlägst oder wenn du Symptome von Angststörungen oder Depressionen entwickelst, ist es Zeit, mit einem Therapeuten zu sprechen.
Auch wenn du merkst, dass du trotz aller Selbsthilfeversuche nicht weiterkommst und die Gedankenmuster sich immer wieder durchsetzen, kann eine professionelle Perspektive hilfreich sein. Therapeuten, die auf kognitive Verhaltenstherapie spezialisiert sind, haben spezifische Werkzeuge und Techniken, um tief verwurzelte Denkmuster zu verändern – oft effektiver, als du es alleine könntest.
Denk daran: Hilfe zu suchen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge und Intelligenz. Es bedeutet, dass du das Problem ernst nimmst und aktiv etwas dagegen tun möchtest.
Das Impostor-Syndrom ist kein Urteil über deine Fähigkeiten
Das Wichtigste, was du verstehen musst: Das Impostor-Syndrom sagt nichts über deine tatsächlichen Fähigkeiten aus. Es ist ein psychologisches Muster, das auf kognitiven Verzerrungen basiert – nicht auf der Realität. Die Tatsache, dass du dir überhaupt Sorgen darüber machst, gut genug zu sein, ist bereits ein Indikator dafür, dass du wahrscheinlich ziemlich kompetent bist. Echte Hochstapler machen sich keine Sorgen darüber, entlarvt zu werden.
Wenn du dich in diesem Artikel wiedererkannt hast, bist du in bester Gesellschaft. Je nach Branche und Kontext können bis zu 82 Prozent der Menschen von diesen Gefühlen betroffen sein. Du bist definitiv kein Betrüger, auch wenn es sich manchmal so anfühlt. Deine Erfolge sind das Ergebnis deiner Fähigkeiten, deiner Arbeit und deiner Vorbereitung – nicht nur von Glück oder Zufall.
Der Weg heraus aus dem Hochstapler-Gefühl beginnt damit, die verzerrten Denkmuster zu erkennen und zu hinterfragen. Es bedeutet, mit dir selbst so freundlich und realistisch umzugehen, wie du es mit einem guten Freund tun würdest. Das nächste Mal, wenn dein innerer Kritiker dir einflüstern will, dass du ein Hochstapler bist, halte inne und frag dich, ob das wirklich der Realität entspricht. Die Chancen stehen gut, dass du dich selbst unterschätzt – und vielleicht ist es ja an der Zeit, dir selbst ein bisschen mehr zuzutrauen.
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