Wer kennt es nicht: Man greift im Supermarkt zur prall gefüllten Chipstüte, freut sich auf den knusprigen Snack und öffnet die Verpackung zu Hause – nur um festzustellen, dass die Tüte gerade mal zur Hälfte gefüllt ist. Was auf den ersten Blick wie eine dreiste Mogelpackung aussieht, hat tatsächlich mehrere Gründe. Doch längst nicht alle davon sind verbraucherfreundlich oder gerechtfertigt.
Die Luft in der Tüte: Schutz oder Täuschung?
Hersteller argumentieren seit Jahren mit technischen Notwendigkeiten. Das sogenannte Schutzgas, meist Stickstoff, soll die empfindlichen Chips während des Transports vor dem Zerbröseln bewahren. Tatsächlich ist diese Begründung nicht aus der Luft gegriffen. Stickstoff verhindert Oxidation und hält Chips knusprig, indem er als inertes Gas Sauerstoff verdrängt und als Stützgas ein Zusammenfallen der Verpackung vermeidet. Ein gewisses Luftpolster schützt die knackigen Chips tatsächlich vor dem Zerbröseln.
Doch hier beginnt bereits die Grauzone: Wie viel Luft ist wirklich notwendig? Nach der gängigen Rechtsprechung gilt ein Luftraum von mehr als 30 Prozent bereits als problematisch. Verbraucherschützer fordern, dass Ausnahmen nur in technisch bedingten Fällen mit einer Obergrenze von genau diesen 30 Prozent Freiraum zugelassen sein sollten. Die Realität im Supermarktregal sieht jedoch oft anders aus.
Der psychologische Trick mit der Verpackungsgröße
Hier kommt ein weiterer Aspekt ins Spiel, der weniger mit Produktschutz und mehr mit Verkaufspsychologie zu tun hat. Große Verpackungen suggerieren großzügige Mengen. Unser Gehirn assoziiert Volumen mit Wert – ein Mechanismus, den Hersteller gezielt nutzen. Die tatsächliche Füllmenge steht zwar auf der Verpackung, doch wer liest im Supermarkt bei jedem Produkt das Kleingedruckte?
Ein dokumentierter Fall macht das Problem deutlich: Eine Verpackung eines glutenfreien Bio-Knusper-Laugen-Snacks war nur zu einem Drittel mit dem Produkt befüllt, während Verbraucher erwarteten, dass die Verpackung zu mindestens zwei Drittel gefüllt ist. Besonders problematisch wird es beim Preisvergleich. Der Grundpreis pro 100 Gramm ist zwar meist angegeben, aber in der Hektik des Einkaufs übersehen viele Verbraucher diese Information. Das Ergebnis: Man zahlt für Luft mit.
Versteckte Preiserhöhungen durch weniger Inhalt
Ein besonders ärgerliches Phänomen ist die sogenannte Shrinkflation. Dabei bleibt die Verpackungsgröße gleich oder wird nur minimal verändert, während der Inhalt deutlich reduziert wird. Der Preis bleibt konstant oder steigt sogar leicht. Diese Methode ist bei Kartoffelchips besonders beliebt, weil der Unterschied zwischen verschiedenen Füllmengen in einer luftgefüllten Tüte visuell kaum auffällt.
Verbraucherschutzorganisationen dokumentieren solche Fälle regelmäßig. Die rechtliche Lage ist eindeutig: Solange der Nettoinhalt korrekt angegeben ist, bewegen sich Hersteller grundsätzlich im legalen Rahmen. Allerdings untersagt die Lebensmittelinformationsverordnung irreführende Informationen über Lebensmittel einschließlich der Menge. Bei Reklamationen muss daher immer der Einzelfall beurteilt werden. Shrinkflation bleibt rechtlich meist im Rahmen, doch zwischen legal und fair klafft oft eine erhebliche Lücke.
Was Verbraucher wissen sollten
Der Blick auf das Gewicht ist beim Kauf von Kartoffelchips unerlässlich. Die Verpackungsgröße sagt nahezu nichts über die tatsächliche Menge aus. Hier einige praktische Tipps für den nächsten Einkauf:
- Grundpreis vergleichen: Der Preis pro 100 Gramm ist die einzig verlässliche Vergleichsgröße. Selbst wenn eine Tüte größer aussieht, kann sie teurer sein.
- Füllmenge notieren: Wer regelmäßig dasselbe Produkt kauft, sollte sich die Füllmenge merken. So fallen Reduktionen sofort auf.
- Alternativen prüfen: Manchmal sind kleinere Verpackungen im Verhältnis günstiger als die vermeintlichen Vorratspackungen.
- Nachfragen: Verbraucherzentralen nehmen Hinweise zu Mogelpackungen ernst und gehen diesen nach.
Die technische Seite: Wie viel Luft ist nötig?
Um die Argumentation der Hersteller einzuordnen, lohnt ein Blick auf die technischen Hintergründe. Kartoffelchips sind tatsächlich empfindlich. Sie enthalten wenig Feuchtigkeit und brechen leicht. Die Luft in der Tüte dient als Schutzpolster, um Bruch zu vermeiden. Nach gängiger Rechtsprechung wird von einer Mogelpackung erst dann gesprochen, wenn der Luftraum in der Verpackung mehr als 30 Prozent beträgt.

Warum also finden sich Tüten mit deutlich mehr Luftanteil im Handel? Die Antwort liegt in der Produktions- und Marketinglogik. Größere Verpackungen fallen im Regal besser auf und werden häufiger gekauft. Die Produktionskosten für eine größere Tüte sind marginal höher als für eine kleinere, während der wahrgenommene Wert deutlich steigt.
Europäische Regelungen und ihre Grenzen
Im deutschen Recht fehlen konkrete Bestimmungen, ab wann eine Mogelpackung vorliegt. Lediglich ein Anhaltswert einer Verwaltungsrichtlinie gibt vor, dass nicht mehr als 30 Prozent Luft in der Packung sein sollten. Es gibt kein Gesetz, das vorschreibt, wie viel Luft eine Produktverpackung beinhalten darf – nur eichrechtliche Grundsätze, die besagen, dass die Packung mit der Reduzierung der Füllmenge schrumpfen muss.
Einige Länder sind hier bereits weiter. In Frankreich sind Händler seit dem 1. Juli 2024 verpflichtet, am Regal auf Mogelpackungen hinzuweisen, bei denen der Inhalt weniger Füllmenge enthält, der Preis aber gleich geblieben oder gestiegen ist. Eine simple, aber wirksame Maßnahme für mehr Transparenz.
Deutschland hinkt hier noch hinterher. Verbraucherschützer fordern seit Jahren klarere Kennzeichnungspflichten. Die Verbraucherzentralen schlagen vor, dass jede Verpackung bis zum Rand oder zur Naht gefüllt sein sollte und Ausnahmen nur in nachweislich technisch bedingten Fällen mit einer Obergrenze von 30 Prozent Freiraum zugelassen sein sollten. Ein Vorschlag wäre auch, den Füllgrad prozentual auf der Verpackung anzugeben – eine Maßnahme, die für echte Transparenz sorgen würde.
Der Umweltaspekt wird oft vergessen
Neben dem finanziellen Aspekt gibt es noch eine andere Dimension: die Verschwendung von Verpackungsmaterial. Jede überdimensionierte Chipstüte bedeutet mehr Plastik- oder Folienmüll. In Zeiten, in denen Nachhaltigkeit ein zentrales Thema ist, wirkt diese Praxis besonders anachronistisch.
Einige wenige Hersteller haben bereits reagiert und bieten kompaktere Verpackungen an. Diese fallen im Regal optisch zwar weniger auf, punkten aber bei umweltbewussten Käufern. Der Markt für solche Alternativen ist noch klein, wächst aber stetig.
Praktische Konsequenzen für den Alltag
Was bedeutet all das für den durchschnittlichen Verbraucher? Zunächst einmal: Aufmerksamkeit zahlt sich aus. Wer gewohnheitsmäßig zur größten Tüte greift, zahlt oft drauf. Ein kurzer Blick auf das Etikett spart auf Dauer bares Geld. Bei einem Produkt, das viele Haushalte regelmäßig kaufen, summieren sich die Beträge schnell.
Darüber hinaus lohnt es sich, Hersteller durch das Kaufverhalten zu beeinflussen. Produkte mit fairem Füllgrad und ehrlicher Verpackung verdienen den Vorzug. Langfristig könnte dies ein Umdenken in der Branche bewirken. Interessant ist auch, dass bei bestimmten Produkten gesetzliche Ausnahmen gelten: Pralinenpackungen dürfen so gestaltet sein, dass das Volumen der Verpackung sechsmal so groß ist wie das Gewicht der Praline. Auch hier zeigt sich, dass die Gesetzeslage nicht immer im Sinne der Verbraucher ausfällt.
Beschwerdewege nutzen
Wer auf eine besonders dreiste Mogelpackung stößt, sollte dies melden. Verbraucherzentralen unterhalten spezielle Meldeportale für solche Fälle. Die gesammelten Daten dienen der Öffentlichkeitsarbeit und dem politischen Druck für bessere Regelungen. Jede Meldung zählt und trägt dazu bei, das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen.
Eine Mogelpackung liegt rechtlich übrigens nicht vor, wenn Verbraucher mit einem Missverhältnis zwischen Inhalt und Umfang rechnen können – beispielsweise bei transparenten Verpackungen oder Sichtfenstern. Doch bei undurchsichtigen Chipstüten greift diese Ausnahme nicht. Die Luftnummer mit Kartoffelchips ist symptomatisch für ein größeres Problem im Einzelhandel. Zwischen technischer Notwendigkeit und marketinggetriebener Verbrauchertäuschung verläuft eine feine Linie. Die 30-Prozent-Grenze gilt als Richtwert, doch viele Verpackungen überschreiten diese deutlich. Verbraucher haben jedoch Möglichkeiten, sich zu wehren – durch bewusstes Einkaufen, kritisches Hinterfragen und aktives Melden problematischer Produkte. Der Markt reagiert letztlich auf Nachfrage, und eine informierte Nachfrage ist die beste Waffe gegen übertriebene Luftnummern im Snackregal.
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