Das sind die häufigsten Charakterzüge von Menschen, die ständig überarbeitet sind, laut Psychologie

Die dunkle Seite des Fleißes: Warum manche Menschen einfach nicht aufhören können zu arbeiten

Wir alle kennen diese Person. Sie sitzt um 23 Uhr noch vor dem Laptop, antwortet auf E-Mails während des Abendessens und hat selbst am Strand das Smartphone in der Hand. Ihr Kalender sieht aus wie ein Tetris-Spiel auf Schwierigkeitsstufe „unmöglich“, und ihre Standard-Antwort auf die Frage „Wie geht’s?“ lautet: „Viel zu tun.“ Vielleicht bist du selbst diese Person. Und hier kommt der Teil, der dich überraschen wird: Das Problem ist nicht der volle Terminkalender. Es ist das, was in deinem Kopf passiert, während du ihn füllst.

Lange Zeit haben wir gedacht, chronische Überarbeitung sei einfach ein Problem mangelnder Zeitplanung oder das Resultat toxischer Arbeitskulturen. Aber die Forschung der letzten Jahre zeichnet ein deutlich komplexeres Bild. Bestimmte Persönlichkeitsmerkmale machen Menschen systematisch anfälliger dafür, sich selbst an die Wand zu fahren. Die University of Bath hat in einer großen Metastudie herausgefunden, dass Perfektionismus ein massiver Risikofaktor für Burnout und Depression ist. Und hier wird es richtig interessant: Perfektionisten leiden nicht nur häufiger an Überlastung, sie empfinden auch weniger Freude an ihren Erfolgen. Sie spielen ein Spiel, bei dem sie zwar alle Level schaffen, aber niemals die Belohnung abholen.

Perfektionismus ist nicht das, was du im Bewerbungsgespräch erzählst

Wenn du jemals in einem Vorstellungsgespräch auf die Frage nach deinen Schwächen geantwortet hast „Ich bin ein bisschen perfektionistisch“, dann hast du vermutlich gelogen. Echter Perfektionismus ist nämlich alles andere als eine charmante Eigenart. Menschen mit dysfunktionalem Perfektionismus setzen sich massiv unter Druck, gönnen sich so gut wie nie Erholung, haben ein übersteigertes Verantwortungsgefühl und behandeln Fehler wie persönliche Katastrophen.

Wirtschaftspsychologen unterscheiden zwischen verschiedenen Arten von Perfektionismus. Es gibt die funktionale Variante, bei der Menschen einfach hohe Standards haben und gut damit leben können. Und dann gibt es die dysfunktionale Version, die sogenannten perfektionistischen Bedenken. Diese Form ist direkt mit Arbeitssucht und Burnout verbunden. Menschen mit dieser Ausprägung arbeiten nicht aus Leidenschaft oder weil sie im Flow sind. Sie arbeiten aus purer Angst. Angst vor Fehlern, Angst vor Ablehnung, Angst davor, dass jemand merkt, dass sie vielleicht doch nicht perfekt sind.

Das Gehirn dieser Menschen läuft im Dauerstressmodus. Jedes Projekt wird zur Überlebensfrage, jede E-Mail zur potenziellen Bedrohung. Sie leben in einer Welt, in der „gut genug“ einfach nicht existiert. Und während sie sich abrackern, werden sie gleichzeitig immer unzufriedener, weil selbst ihre besten Leistungen sich nie gut genug anfühlen. Das ist wie ein Hamsterrad, bei dem das Rad schneller wird, je mehr du rennst.

Das Zwei-Buchstaben-Wort, das Leben retten kann

Einer der häufigsten Charakterzüge chronisch überarbeiteter Menschen ist die totale Unfähigkeit, Nein zu sagen. Aber warum ist es so verdammt schwer, eine simple Silbe auszusprechen? Die Antwort liegt in der Art und Weise, wie manche Menschen ihren Selbstwert regulieren. Dein Selbstwertgefühl ist wie ein Bankkonto, das ständig leer ist. Jede Aufgabe, die du übernimmst, ist eine Einzahlung. Jedes Mal, wenn du Nein sagst, fühlst du dich, als würdest du Geld abheben, das du nicht hast.

Für diese Menschen ist jede abgelehnte Bitte eine potenzielle Katastrophe: „Wenn ich Nein sage, bin ich nicht mehr wertvoll. Wenn ich diese E-Mail nicht beantworte, bin ich ersetzbar. Wenn ich nicht helfe, werde ich nicht mehr gebraucht.“ Diese Denkweise entsteht oft schon in der Kindheit. Viele Betroffene haben gelernt, dass Zuwendung und Anerkennung an Leistung gekoppelt sind. Als Kind warst du der Liebling, wenn du gute Noten hattest oder brav warst. Als Erwachsener bist du jetzt der Meinung, dass du nur dann liebenswert bist, wenn du produktiv bist. Das ist eine brutale Gleichung, die dich langsam auffrisst.

Häufig geht dieses Muster mit einem sogenannten Helfersyndrom einher. Du musst immer für alle da sein, immer Probleme lösen, immer verfügbar sein. Nicht weil du so wahnsinnig großzügig bist, sondern weil du glaubst, dass deine Daseinsberechtigung davon abhängt. Die Grenze zwischen gesunder Hilfsbereitschaft und selbstzerstörerischem Verhalten verschwindet komplett.

Atlas hätte eine Therapie gebraucht

Ein weiteres Merkmal, das immer wieder auftaucht: ein völlig überzogenes Verantwortungsgefühl. Diese Menschen glauben ernsthaft, dass das Scheitern eines Projekts, eines Teams oder eines ganzen Unternehmens allein ihre Schuld wäre. Sie tragen die Welt auf ihren Schultern, obwohl niemand sie darum gebeten hat. Dieses übersteigerte Verantwortungsgefühl hängt oft mit einer tiefsitzenden Angst vor Kontrollverlust zusammen.

Die Logik ist erschreckend simpel: Wenn ich alles selbst mache, kann ich sicherstellen, dass es richtig gemacht wird. Wenn ich delegiere, könnte etwas schiefgehen, und das wäre meine Schuld. Also mache ich lieber alles selbst. Das Problem: Diese Strategie führt garantiert zu Erschöpfung. Es ist mathematisch unmöglich, alles selbst zu machen und dabei gesund zu bleiben.

Das Perfide daran ist, dass unsere Gesellschaft dieses Verhalten oft feiert. Wir lieben Menschen, die Verantwortung übernehmen und sich aufopfern. Wir geben ihnen Auszeichnungen und befördern sie. Was wir dabei übersehen: Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen gesunder Verantwortung und zwanghaftem Kontrollwahn. Der eine ist ein Zeichen von Reife, der andere ein Warnsignal, dass jemand gerade dabei ist, komplett auszubrennen.

Wenn Fehler zum Weltuntergang werden

Hinter all diesen Mustern steckt eine zentrale Angst: die Angst vor Misserfolg. Während die meisten Menschen Fehler als nervig, aber normal betrachten, erleben chronisch Überarbeitete sie als existenzielle Bedrohung. Ein Projekt, das schiefgeht, ist nicht einfach ärgerlich. Es ist der Beweis, dass sie wertlos sind.

Die Forschung zeigt immer wieder einen Zusammenhang zwischen frühen Erfahrungen bedingter Zuwendung und späteren Arbeitsmustern. Kinder, die gelernt haben, dass Liebe nur dann kommt, wenn sie etwas leisten, werden zu Erwachsenen, für die Arbeit nicht Selbstverwirklichung oder finanzielle Notwendigkeit ist. Arbeit wird zur einzigen verlässlichen Quelle von Selbstbestätigung. Sie arbeiten nicht, um zu leben. Sie arbeiten, um zu existieren.

Und hier ist der wirklich fiese Teil: Diese Strategie funktioniert tatsächlich, zumindest am Anfang. Wer viel arbeitet, bekommt Anerkennung. Wer immer Ja sagt, wird geschätzt. Wer nie versagt, wird bewundert. Das Gehirn lernt: „Das hier ist der Weg zum Überleben.“ Die positive Verstärkung stabilisiert das Muster, bis irgendwann der Körper oder die Psyche die Notbremse zieht. Und diese Notbremse hat Namen: Burnout, Depression, Panikattacken.

Der Preis des Fleißes: Was passiert, wenn der Körper aufgibt

Die langfristigen Folgen chronischer Überarbeitung sind verdammt gut dokumentiert und gehen weit über „Ich bin halt müde“ hinaus. An erster Stelle steht das Burnout-Syndrom, ein Zustand totaler emotionaler, körperlicher und geistiger Erschöpfung. Die Symptome lesen sich wie eine Liste aus der Hölle: chronische Erschöpfung, die auch nach dem Wochenende nicht weggeht, Schlafstörungen, bei denen du entweder nicht einschlafen oder nicht durchschlafen kannst, erhöhte Reizbarkeit, bei der du wegen jeder Kleinigkeit explodierst, sozialer Rückzug, weil Menschen einfach nur noch anstrengend sind, Konzentrationsschwierigkeiten und ein zunehmender Zynismus, der selbst deine engsten Freunde nervt.

Besonders heimtückisch: Menschen mit den beschriebenen Persönlichkeitsmustern erkennen ihre eigene Überlastung oft als Allerletzte. Sie interpretieren Erschöpfung als persönliches Versagen. „Ich muss mich nur mehr anstrengen“ oder „Ich muss nur besser organisiert sein“ sind die Mantras, mit denen sie sich selbst weiter in die Erschöpfung treiben. Die Idee, dass das Problem nicht in ihrer Arbeitsweise, sondern in ihrer Beziehung zur Arbeit liegt, erscheint ihnen absurd.

Wenn Netflix mit Freunden zum Luxus wird

Ein oft übersehener Aspekt ist die schleichende soziale Isolation. Wer ständig arbeitet, hat keine Zeit für Freunde, Hobbys oder Familie. Am Anfang werden Treffen verschoben. Dann abgesagt. Dann irgendwann gar nicht mehr vereinbart. Das soziale Netzwerk schrumpft auf Arbeitskollegen zusammen, und selbst die siehst du nur in Meetings oder beim schnellen Kaffee zwischen zwei Terminen.

Die Ironie ist brutal: Viele dieser Menschen arbeiten so viel, weil sie sich Anerkennung und Zugehörigkeit wünschen. Aber ihre Strategie führt zum exakten Gegenteil. Sie landen in Einsamkeit und mit dem Gefühl, dass niemand sie wirklich sieht oder versteht. Arbeit wird zum goldenen Käfig, der vermeintliche Sicherheit bietet, aber echte Verbindung verhindert. Und soziale Unterstützung ist einer der wichtigsten Schutzfaktoren gegen psychische Belastungen. Ohne sie bist du exponentiell anfälliger für alles, was schiefgehen kann.

Dein Körper hat eine Meinung dazu

Die körperlichen Konsequenzen sind genauso ernst. Chronischer Stress führt zu einer Daueraktivierung des sympathischen Nervensystems. Dein Körper läuft im permanenten Kampf-oder-Flucht-Modus, obwohl du weder vor einem Säbelzahntiger fliehst noch gegen einen feindlichen Stamm kämpfst. Du sitzt nur vor einem Laptop. Aber dein Körper kennt den Unterschied nicht.

Die erhöhte Cortisolausschüttung über lange Zeiträume führt zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Magen-Darm-Problemen und einem geschwächten Immunsystem. Du wirst ständig krank, hast Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Magenschmerzen. Dein Körper schreit dich regelrecht an, aber du ignorierst ihn, weil du ja noch diese eine Präsentation fertigmachen musst.

Depressive Verstimmungen bis hin zu manifesten Depressionen sind eine weitere häufige Konsequenz. Wenn Arbeit die einzige Quelle der Selbstbestätigung ist, wird jede Pause zur Bedrohung. Jedes Wochenende, jeder Urlaub wird zur konfrontierenden Leere, in der die unbeantworteten Fragen des eigenen Lebens plötzlich sehr laut werden.

Warum nicht alle gleich reagieren

An dieser Stelle ist eine wichtige Klarstellung nötig: Natürlich spielen auch externe Faktoren eine massive Rolle bei Überarbeitung. Toxische Arbeitskultur, unrealistische Erwartungen, miese Führung, Personalknappheit und strukturelle Probleme sind real und relevant. Nicht jede Überlastung ist selbstverschuldet oder Ausdruck innerer Konflikte.

Aber die Forschung zeigt etwas Faszinierendes: Selbst unter identischen äußeren Bedingungen reagieren Menschen unterschiedlich. Manche können Grenzen setzen, delegieren, priorisieren und rechtzeitig Hilfe suchen. Andere können es nicht. Und genau hier kommen die beschriebenen Persönlichkeitsmuster ins Spiel. Sie fungieren als Verstärker, die aus schwierigen Arbeitsbedingungen eine persönliche Katastrophe machen.

Das typische Profil überarbeiteter Menschen zeigt sich als Kombination aus Perfektionismus, Ehrgeiz, Unfähigkeit Nein zu sagen, Idealismus, übersteigertem Verantwortungsgefühl und Helfersyndrom. Diese Merkmale sind nicht statisch. Sie sind erlernt, was bedeutet: Sie können auch wieder verlernt werden.

Der Weg aus der Falle

Die gute Nachricht: Was gelernt wurde, kann auch verlernt werden. Psychologische Muster sind nicht in Granit gemeißelt. Der erste und schwierigste Schritt ist die Bewusstwerdung. Die Einsicht, dass die eigene Produktivität vielleicht nicht aus Leidenschaft, sondern aus innerer Unruhe entsteht. Dass hinter dem Fleiß oft Angst steckt. Dass Arbeit manchmal weniger Berufung als Flucht ist.

Therapeutische Unterstützung, besonders kognitive Verhaltenstherapie, hat sich als besonders wirksam erwiesen. Ein zentraler Ansatz ist die Arbeit am Selbstwert, die Entkopplung des eigenen Wertes von äußerer Leistung. Das bedeutet nicht, dass Leistung unwichtig wird. Es bedeutet nur, dass sie nicht mehr die einzige Säule der Identität darstellt. Menschen lernen, ihren Wert auch in Beziehungen, Hobbys, persönlichen Werten und schlichtweg in ihrer Existenz als Mensch zu sehen.

Praktische Strategien umfassen:

  • Das bewusste Üben des Nein-Sagens in kleinen, sicheren Situationen
  • Das Setzen realistischer Standards statt perfektionistischer Erwartungen
  • Das aktive Delegieren von Verantwortung an Kollegen
  • Das Pflegen sozialer Beziehungen außerhalb des Arbeitskontextes
  • Achtsamkeitspraktiken zur Erkennung innerer Unruhe

Kleine Experimente mit großer Wirkung

Regelmäßige Selbstreflexion kann transformativ wirken. Fragen wie „Warum übernehme ich diese Aufgabe wirklich?“, „Was befürchte ich, wenn ich Nein sage?“ oder „Welchen Preis zahle ich für diese Arbeitsweise?“ können blinde Flecken aufdecken. Oft entdecken Betroffene, dass ihre schlimmsten Befürchtungen bei genauerer Betrachtung wenig realistisch sind.

Auch das Experimentieren mit neuen Verhaltensweisen ist wichtig. Bewusst ein Projekt ablehnen und beobachten, was passiert. Eine Deadline nicht schaffen und die Konsequenzen erleben. Einen Tag komplett frei nehmen, ohne zu arbeiten, und die aufkommenden Gefühle registrieren. Diese Experimente liefern korrigierende Erfahrungen, die alte Muster erschüttern können. Meistens stellt sich heraus: Die Welt geht nicht unter. Du bist immer noch wertvoll. Niemand hasst dich plötzlich.

Was wir als Gesellschaft ändern müssen

Vielleicht brauchen wir insgesamt ein anderes Verständnis von Erfolg und Produktivität. Eines, das Erholung nicht als Gegenteil von Leistung begreift, sondern als ihre Voraussetzung. Eines, das den Wert eines Menschen nicht an seiner To-Do-Liste misst. Eines, das anerkennt, dass nachhaltige Leistung nur aus einem Ort innerer Stabilität und nicht aus chronischer Angst entstehen kann.

Die Forschung ist eindeutig: Chronische Überarbeitung ist kein Zeichen von Stärke, Engagement oder besonderer Fähigkeit. Sie ist oft ein Symptom ungelöster innerer Konflikte, ein verzweifelter Versuch, Selbstwert auf unsicherem Fundament zu errichten. Und sie fordert einen Preis, den niemand zahlen sollte: die eigene Gesundheit, die sozialen Beziehungen und letztlich die Lebensqualität.

Wenn du dich in den beschriebenen Mustern wiedererkennst, ist das keine Schande. Es ist schlichtweg Ausdruck dessen, was du gelernt hast, um in deiner Welt zu überleben. Aber es ist auch eine Einladung, neu zu lernen. Zu erkennen, dass dein Wert nicht von deiner Produktivität abhängt, dass Pausen keine Schwäche sind und dass ein erfülltes Leben mehr bedeutet als ein voller Terminkalender. Die Arbeit an diesen Mustern ist vielleicht die wichtigste Arbeit überhaupt. Und eine, bei der Perfektion definitiv nicht das Ziel sein sollte.

Was treibt dich wirklich zu endlosen To-do-Listen?
Angst vor Versagen
Bedürfnis nach Kontrolle
Suche nach Anerkennung
Flucht vor Leere
Einfach Gewohnheit

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