Wer auf seine Linie achtet, greift häufig zu Kaugummi als vermeintlich kalorienarme Alternative zu Süßigkeiten. Doch ein genauer Blick auf die Nährwerttabelle offenbart eine überraschende Wahrheit: Die Angaben können irreführend sein und manch einer konsumiert unwissentlich deutlich mehr Kalorien und Zucker als gedacht. Das Problem liegt nicht nur in den enthaltenen Zutaten selbst, sondern vor allem in der Art und Weise, wie die Informationen präsentiert werden.
Der Trick mit der Portionsgröße auf der Nährwerttabelle
Die meisten Verbraucher werfen einen kurzen Blick auf die Nährwertangaben und fühlen sich bestätigt: 5 Kalorien pro Portion klingt nach einer harmlosen Nascherei. Was dabei jedoch übersehen wird, ist die Definition der Portion. Während bei vielen Lebensmitteln 100 Gramm als Bezugsgröße dienen, bezieht sich die Angabe bei Kaugummi häufig auf ein einzelnes Stück oder eine noch kleinere Einheit. Wer jedoch mehrere Stücke am Tag kaut – und das ist bei den meisten Menschen der Fall – summiert diese Werte schnell zu einer beachtlichen Menge.
Ein einzelnes Kaugummi enthält etwa 7 Kalorien bei zuckerhaltigen Varianten, während zuckerfreie Kaugummis immerhin noch 2 bis 5 Kalorien pro Stück aufweisen. Die Nährwertangabe pro Portion bezieht sich dann auf genau dieses winzige Gewicht. Mathematisch betrachtet bedeutet das: Selbst wenn ein Stück nur wenige Kalorien enthält, liegt der Kaloriengehalt hochgerechnet auf 100 Gramm erheblich höher als bei vielen anderen Snacks. Diese Darstellung ist zwar rechtlich korrekt, erschwert aber den direkten Vergleich mit anderen Produkten enorm.
Die Industrie nutzt diese unrealistischen Portionsgrößen systematisch, um Nährwerte schönzurechnen. Ein bedeutendes Urteil des Bundesgerichtshofs vom August 2022 entschied jedoch, dass Nährwertangaben auf der Verpackungsvorderseite nicht auf Grundlage von unrealistischen Portionsgrößen erfolgen dürfen. Das Gericht befand, dass die sieben wichtigsten Nährwerte – Brennwert, Fett, gesättigte Fettsäuren, Kohlenhydrate, Zucker, Eiweiß und Salz – einheitlich pro 100 Gramm beziehungsweise Milliliter angegeben werden müssen.
Zucker versus Zuckeraustauschstoffe: Die versteckte Falle
Viele greifen zu zuckerfreien Varianten und wiegen sich in Sicherheit. Doch zuckerfrei bedeutet keineswegs kalorienfrei oder gar unbedenklich für die Diät. Zuckeralkohole wie Sorbit, Xylit oder Mannit werden als Ersatzstoffe verwendet und tauchen in der Zutatenliste auf. Diese Stoffe liefern tatsächlich Energie – zwischen 2 und 3 Kalorien pro Gramm, verglichen mit 4 Kalorien bei herkömmlichem Zucker. Tatsächlich enthalten zuckerhaltige Kaugummis etwa doppelt so viele Kalorien wie ihre zuckerfreien Pendants.
Das eigentliche Problem: In der Nährwerttabelle werden Zuckeralkohole nicht immer unter „Zucker“ aufgeführt, sondern unter „Kohlenhydrate“ oder in einer separaten Zeile. Wer nur auf die Zeile „davon Zucker“ schaut und dort eine Null sieht, übersieht möglicherweise die tatsächliche Kalorienzufuhr. Bei intensivem Konsum von fünf bis zehn Kaugummis täglich können sich so unbemerkt 35 bis 70 zusätzliche Kalorien in die Tagesbilanz schleichen.
Wie Zuckeralkohole auf den Körper wirken
Neben dem Kalorienaspekt haben Zuckeralkohole noch eine weitere Eigenschaft, die bei einer Diät kontraproduktiv sein kann: Zuckeralkohole werden im Darm nur teilweise aufgenommen und können bei übermäßigem Verzehr abführend wirken. Das klingt zunächst vielleicht nach einem willkommenen Nebeneffekt, führt aber häufig zu Blähungen und Unwohlsein. Die unvollständige Aufnahme kann zudem dazu führen, dass der Körper die erwartete Energiezufuhr nicht vollständig erhält, was wiederum zu verstärktem Hungergefühl führen kann.
Die psychologische Komponente des ständigen Kauens
Ein Aspekt, der in der Diskussion um Kaugummi und Diät oft unterschätzt wird, ist die psychologische Komponente. Das ständige Kauen signalisiert dem Gehirn eine Nahrungsaufnahme, ohne dass ausreichend Kalorien oder Nährstoffe folgen. Interessanterweise zeigen Untersuchungen, dass zuckerfreie Kaugummis ohne Menthol das Sättigungszentrum stimulieren können, weshalb sie durchaus als Hungerkiller fungieren.

Hinzu kommt der sogenannte Halo-Effekt: Wer sich mit dem Verzicht auf echte Süßigkeiten zugunsten von Kaugummi bereits diszipliniert fühlt, gönnt sich an anderer Stelle vielleicht eine zusätzliche Belohnung. Die eingesparten Kalorien sind dann schnell wieder aufgebraucht, und die Diätbilanz fällt negativ aus. Dieses mentale Kompensationsverhalten sabotiert häufig die besten Abnehmvorsätze, ohne dass es den Betroffenen bewusst wird.
So lesen Sie die Nährwerttabelle richtig
Um nicht in die Kalorienfalle zu tappen, sollten Sie beim Blick auf die Nährwerttabelle einige wichtige Punkte beachten:
- Prüfen Sie die Bezugsgröße: Achten Sie darauf, ob sich die Angaben auf ein Stück, eine Portion oder 100 Gramm beziehen. Rechnen Sie Ihren tatsächlichen Tageskonsum um.
- Schauen Sie auf die gesamten Kohlenhydrate: Nicht nur die Zeile „davon Zucker“ ist relevant. Die Gesamtkohlenhydrate geben Aufschluss über alle energieliefernden Bestandteile.
- Suchen Sie nach Zuckeralkoholen: Diese werden oft in einer separaten Zeile aufgeführt oder in der Zutatenliste genannt. Informieren Sie sich über die spezifischen Namen wie Mannit, Sorbit und Xylit.
- Berechnen Sie Ihre Tagesmenge: Multiplizieren Sie die Werte mit der Anzahl der Kaugummis, die Sie realistisch konsumieren.
Wann Kaugummi in der Diät sinnvoll ist
Trotz der genannten Punkte kann Kaugummi durchaus ein nützliches Hilfsmittel während einer Diät sein – wenn man es richtig einsetzt. Nach den Mahlzeiten gekaut, kann es die Mundhygiene unterstützen und das Verlangen nach einem süßen Dessert reduzieren. Wichtig ist dabei, sich auf ein bis zwei Stücke zu beschränken und nicht in einen dauerhaften Kaurausch zu verfallen.
Besonders in sozialen Situationen, in denen andere naschen und man selbst widerstehen möchte, kann ein Kaugummi eine praktische Lösung sein. Die mechanische Beschäftigung des Kiefers lenkt ab und gibt dem Mund etwas zu tun, ohne dass größere Mengen an Kalorien aufgenommen werden. Die stimulierende Wirkung auf das Sättigungszentrum kann dabei helfen, Heißhungerattacken zu vermeiden und den Abstand zwischen den Mahlzeiten erträglicher zu gestalten.
Alternativen zum dauerhaften Kauen
Wer feststellt, dass der Kaugummikonsum außer Kontrolle gerät, sollte nach Alternativen suchen. Trinken von Wasser oder ungesüßtem Tee beschäftigt den Mund ebenfalls und füllt den Magen. Rohes Gemüse wie Möhren oder Selleriestangen bieten einen ähnlichen Kaueffekt, liefern aber zusätzlich Vitamine und Ballaststoffe bei minimalen Kalorien. Auch Atemübungen oder kurze Spaziergänge können helfen, das Verlangen nach einer oralen Beschäftigung zu reduzieren. Oft steckt hinter dem Griff zum Kaugummi nicht wirklich Hunger, sondern Langeweile, Stress oder Gewohnheit.
Die rechtliche Situation der Kennzeichnung
Die aktuellen Vorschriften zur Nährwertkennzeichnung sind durch die EU-Lebensmittel-Informationsverordnung geregelt. Diese schreibt vor, dass die sieben wichtigsten Nährwerte pro 100 Gramm oder 100 Milliliter angegeben werden müssen. Hersteller dürfen darüber hinaus auch Angaben pro Portion machen, doch die 100er-Basis-Angabe darf nicht fehlen. Das Bundesgerichtshof-Urteil vom August 2022 bekräftigte, dass irreführende Portionsangaben auf der Vorderseite gegen die Verordnung verstoßen.
Trotz dieser klaren Regelung nutzen Hersteller weiterhin Spielräume aus, indem sie die verpflichtenden Angaben im Kleingedruckten verstecken und auf der Packungsvorderseite Mini-Portionsgrößen verwenden, um die Werte kleinzurechnen. Verbraucherschützer dokumentieren diese Praktiken seit Jahren und fordern eine noch einheitlichere und transparentere Regelung. Bis dahin bleibt nur die Eigeninitiative: Taschenrechner zücken, umrechnen und kritisch hinterfragen. Die paar Minuten Mehraufwand können den Unterschied zwischen Diäterfolg und Stillstand ausmachen.
Bewusster Konsum beginnt mit dem Verständnis dessen, was man tatsächlich zu sich nimmt. Kaugummi mag klein und harmlos erscheinen, doch wie so oft steckt der Teufel im Detail – oder in diesem Fall in der Nährwerttabelle. Mit dem richtigen Wissen ausgestattet lässt sich Kaugummi durchaus sinnvoll in eine Diät integrieren, ohne dass die kleinen Kaubonbons zur unerwarteten Kalorienfalle werden.
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