Die Milchpackung sieht aus wie immer, der Preis erscheint akzeptabel, doch beim genaueren Hinsehen offenbart sich eine Praxis, die besonders Familien mit Kindern hart trifft: Shrinkflation. Während die Verpackung vertraut bleibt, schrumpft der Inhalt bei Produkten wie Milka Alpenmilch, Müsli oder Schokolade systematisch. Was auf den ersten Blick wie eine Kleinigkeit wirkt, entpuppt sich als durchdachte Strategie, mit der Hersteller ihre Gewinne steigern, während Verbraucher mehr zahlen und weniger bekommen.
Wenn die Schokolade flacher wird, der Preis aber steigt
Das Phänomen trägt einen Namen, der sich aus den englischen Wörtern für Schrumpfen und Inflation zusammensetzt. Während sich die Verpackung optisch kaum verändert und das Design vertraut bleibt, schrumpft der tatsächliche Inhalt. Ein prominentes Beispiel liefert Milka Alpenmilch: Der Hersteller Mondelez reduzierte die Füllmenge von 100 auf 90 Gramm, während der Preis gleichzeitig von 1,49 Euro auf 1,99 Euro stieg – eine versteckte Preiserhöhung von 48 Prozent. Die Tafel wurde flacher, Design und Verpackungsbreite blieben jedoch gleich und täuschen weiterhin die gewohnte Menge vor.
Bei Grundnahrungsmitteln, die in Haushalten mit Kindern praktisch täglich gebraucht werden, wiegt diese Täuschung besonders schwer. Eltern, die morgens schnell das Müsli zubereiten oder abends den Kakao anrühren, verlassen sich auf routinierte Einkaufsrhythmen. Wer gewohnt ist, dass bestimmte Mengen für die Woche reichen, steht plötzlich einen Tag früher wieder im Supermarkt – ohne die Ursache sofort zu erkennen.
Die Methode ist raffiniert: Statt den Preis offen zu erhöhen, was Verbraucher sofort bemerken würden, bleibt die Preisauszeichnung stabil oder steigt nur minimal. Der Grundpreis jedoch klettert deutlich. Die Verbraucherzentrale Hamburg dokumentiert dieses Phänomen systematisch und kürt regelmäßig Mogelpackungen des Monats, um auf diese Praktik aufmerksam zu machen.
Warum gerade Familien ins Visier geraten
Haushalte mit Kindern gehören zu den größten Konsumenten von Grundnahrungsmitteln. Ob Milchprodukte im Frühstücksmüsli, Schokolade als Snack, Müsli für morgens oder Pudding als Nachtisch – der Verbrauch ist hoch und kontinuierlich. Genau diese Routine machen sich Hersteller zunutze.
Eltern kaufen oft unter Zeitdruck ein. Zwischen Arbeit, Kinderbetreuung und Haushalt bleibt wenig Raum, jedes Produkt akribisch zu überprüfen. Die vertraute Verpackung signalisiert Sicherheit – das gleiche Produkt wie immer. Dass sich der Inhalt verändert hat, fällt erst auf, wenn das Produkt unerwartet schneller leer ist oder beim Nachrechnen zu Hause Unstimmigkeiten auffallen. Bis dahin haben viele Familien bereits mehrfach zur reduzierten Packung gegriffen.
Die psychologische Dimension der Täuschung
Verpackungsdesign ist keine Zufallsentscheidung. Farben, Formen und Größen werden gezielt eingesetzt, um Wiedererkennungswert zu schaffen. Wird die Füllmenge reduziert, bleiben diese visuellen Ankerpunkte bewusst erhalten. Die Packung mag minimal schmaler oder flacher sein, doch die Breite oder Höhe bleibt gleich – das Regal wirkt unverändert. Das menschliche Gehirn, das auf Effizienz programmiert ist, überspringt die Detailprüfung bei vertrauten Produkten. Diese kognitive Abkürzung wird systematisch ausgenutzt.
Wie die Mengenreduzierung konkret funktioniert
Die Mogelpackungsliste 2025 der Verbraucherzentrale Hamburg dokumentiert über 30 betroffene Produkte verschiedenster Kategorien. Die Beispiele zeigen das Ausmaß dieser Praxis deutlich:
- Lindt Excellence Cacao Pur: Reduktion von 80 Gramm auf 50 Gramm bei gleichzeitiger Preiserhöhung um 100,1 Prozent
- Vitalis Schoko Müsli Feinherb: Preiserhöhung von 50 Prozent durch versteckte Mengenreduzierung
- Dr. Oetker Original Schokopudding: Preisanstieg um 50 Prozent bei reduzierter Füllmenge
- Maggi Tomatencremesuppe: Versteckte Preiserhöhung von 33,3 Prozent
- Valensina Milde Orange: Reduktion von 1000 Milliliter auf 700 Milliliter bei Preiserhöhung um 42,9 Prozent
Bei Milka sind inzwischen acht weitere Sorten von der Füllmengenreduktion betroffen. Die Übergänge erfolgen meist schleichend, der Abstand zwischen den Änderungen ist groß genug, dass der Wandel nicht als kontinuierlicher Prozess wahrgenommen wird. Jeder Schritt für sich erscheint marginal, in der Summe jedoch addieren sich die Verluste erheblich.
Den Trick durchschauen – worauf Sie achten sollten
Der wichtigste Verbündete beim Einkauf ist der Grundpreis, der auf dem Regalschild ausgewiesen sein muss. Dieser zeigt den Preis pro Kilogramm, Liter oder 100 Gramm beziehungsweise Milliliter und macht verschiedene Packungsgrößen vergleichbar. Ein praktisches Rechenbeispiel verdeutlicht dies: Bei der Vilsa Bio-Limo sank die Menge von 0,75 Liter auf 0,5 Liter, während der absolute Preis von 1,39 Euro auf 1,29 Euro fiel. Auf den ersten Blick erscheint dies günstiger, doch der Grundpreis stieg dadurch um etwa 39,2 Prozent.

Ebenso aufschlussreich ist die Nettofüllmengen-Angabe auf der Packung selbst. Diese befindet sich meist auf der Vorderseite, allerdings oft in kleiner Schrift und unauffälliger Gestaltung. Ein bewusster zweiter Blick lohnt sich. Fotografieren Sie bei Bedarf Ihre gewohnten Produkte mit dem Smartphone – so haben Sie beim nächsten Einkauf einen direkten Vergleichswert.
Rechnen lohnt sich: Die tatsächlichen Mehrkosten
Die dokumentierten Beispiele zeigen, dass die Mehrkosten erheblich sein können. Bei regelmäßig konsumierten Produkten summieren sich scheinbar kleine Mengenreduzierungen über das Jahr zu beträchtlichen Beträgen. Multipliziert mit mehreren betroffenen Grundnahrungsmitteln wird das finanzielle Ausmaß deutlich. Foodwatch betont, dass Konzerne hierbei ihre Gewinne steigern, während Verbraucher real weniger Produkt für mehr Geld erhalten.
Rechtliche Grauzone und fehlender Verbraucherschutz
Rein rechtlich bewegen sich Hersteller in einem legalen Rahmen. Die Füllmenge muss angegeben werden, täuschen im juristischen Sinne liegt nicht vor. Ethisch jedoch ist die Praxis höchst fragwürdig. Transparenz sähe anders aus. Ein deutlicher Hinweis auf die Mengenreduzierung, beispielsweise durch ein gut sichtbares Label, wäre ein Zeichen ehrlichen Wirtschaftens. Stattdessen wird die Information versteckt, die Verpackung maximal ähnlich gehalten.
Verbraucherschutzorganisationen fordern seit Jahren schärfere Regelungen. Foodwatch hat Anfang September 2025 sogar Klage gegen Mondelez eingereicht – für die Organisation ein typischer Fall irreführender Praktiken im Supermarktregal. Die Forderungen sind klar: Klare Hinweise auf Preiserhöhungen auf die Verpackungsvorderseite und kleinere Verpackungen passend zum reduzierten Inhalt.
Frankreich ist bereits vorangegangen: Seit Juli 2024 gilt dort bei Preiserhöhungen eine Kennzeichnungspflicht im Supermarkt in unmittelbarer Nähe zum betroffenen Produkt. Supermärkte müssen solche Tricks deutlich kennzeichnen. Deutschland hinkt bislang hinterher, obwohl Foodwatch und die Verbraucherzentrale darauf drängen, dass die Bundesrepublik nachziehen muss. Bis sich hier etwas ändert, bleibt die Verantwortung beim einzelnen Verbraucher.
Strategien für den bewussteren Einkauf
Wissen ist der erste Schritt zur Gegenwehr. Erstellen Sie eine Liste der Produkte, die Sie regelmäßig kaufen, und notieren Sie die üblichen Füllmengen. Prüfen Sie diese in regelmäßigen Abständen. Die Verbraucherzentrale Hamburg veröffentlicht regelmäßig aktualisierte Mogelpackungslisten, die beim bewussten Einkauf helfen können.
Vergleichen Sie systematisch die Grundpreise verschiedener Marken und Packungsgrößen. Manchmal sind kleinere Packungen im Grundpreis günstiger als größere – oder umgekehrt. Auch Handelsmarken bieten oft stabilere Füllmengen als Markenprodukte. Großpackungen oder Mehrfachpacks können ebenfalls vorteilhafter sein, sofern der Grundpreis tatsächlich günstiger ist – auch hier ist Nachrechnen unerlässlich.
Tauschen Sie sich mit anderen Eltern aus. Gemeinschaftliches Wissen schützt besser als individuelle Aufmerksamkeit. In Eltern-Chat-Gruppen oder an der Kita lassen sich Beobachtungen teilen, die anderen helfen, ebenfalls wachsam zu bleiben.
Verbrauchermacht durch bewusstes Handeln
Die versteckte Mengenreduzierung ist kein Einzelfall, sondern Teil eines größeren Musters. Die Mogelpackungsliste 2025 zeigt die Breite des Phänomens: Von Schokolade über Müsli, Käse, Kaffee bis zu Getränken und Fertiggerichten – kaum eine Produktkategorie bleibt verschont. Für Familien, die ohnehin mit steigenden Lebenshaltungskosten kämpfen, bedeutet dies eine zusätzliche finanzielle Belastung, die durch ihre Unsichtbarkeit besonders belastend wirkt.
Hersteller reagieren auf Kaufverhalten. Wer gezielt zu Produkten mit fairer Füllmenge greift und dies auch kommuniziert, sendet ein Signal. Beschwerdemails an Kundenservice-Abteilungen, Bewertungen in Online-Shops oder Posts in sozialen Medien erhöhen den Druck auf Unternehmen, transparenter zu agieren.
Foodwatch warnt eindringlich: Es braucht klare gesetzliche Regelungen gegen diese Praxis. Die Organisation fordert ein Ende der Täuschung im Supermarktregal. Letztlich geht es um mehr als Gramm und Milliliter. Es geht um Respekt gegenüber Verbrauchern, um Fairness im Handel und um die Frage, welche Praktiken wir als Gesellschaft akzeptieren wollen. Jeder aufmerksame Einkauf ist ein Schritt in Richtung ehrlicherer Geschäftsbeziehungen.
Inhaltsverzeichnis
